2006: Kerstin besucht Julietta in Kenia

AG-Mitbegründerin Kerstin hat 2006 ihr Patenkind Julietta in Kenia besucht

Was sie erlebt hat, berichtet sie im Folgenden:

„Etwas Großes hatten wir uns vorgenommen, als wir beschlossen, unseren Sommerurlaub mit einem Besuch unseres Patenkindes in Kenia zu verbinden. Mit unseren beiden Kindern, 11 und 15 Jahre alt, wollten wir den Teil der Welt sehen, den wir bisher nur aus Erzählungen kannten. Schon die Vorbereitungen mit Beantragen von Reisepässen und Visa, verschiedenen Impfungen und Malariaprophylaxe waren aufwendig. Kenia übertraf alle Erwartungen und ein besonderes Highlight war für uns alle der Besuch unseres Patenkindes in der Mitte unserer dreiwöchigen Rundreise.Als nach einer traumhaft schönen Safari durch die Massai Mara der Besuch langsam näher rückte, wurde ich immer nervöser: mit welchen Erwartungen würden wir konfrontiert werden, was sollten wir erzählen, würden wir eine Gesprächsebene zueinander finden und wie würde sich der Unterschied zwischen uns „reichen“ Weißen und der Familie von Julietta auswirken? Auch unserer 11 jähriger Sohn wurde immer unruhiger. Er fühlte sich schon den ganzen Urlaub unter all den vielen dunkelhäutigen Menschen ein bisschen fremd und seine Englischkenntnisse reichten noch nicht für ein Gespräch.

Dixon, ein Planmitarbeiter, holte uns am Besuchstag in Nairobi vom Hotel ab. Zunächst ging es in den Supermarkt zum Einkaufen – Maismehl, Weizenmehl, Zucker und Tee – alles in allem rund 10 kg Nahrungsmittel. Umgerechnet haben wir ganze 15 Euro bezahlt und Dixon meinte, dass die Familie von diesen Lebensmitteln einen ganzen Monat leben kann. Da musste ich kurz an die Übernachtungspreise in unserem Hotel in Nairobi denken.

Nachdem wir auf halbem Wege die Sozialarbeiterin Jane eingesammelt hatten, ging es zunächst zum Plan-Büro, wo wir von einem Besuchskomitee empfangen wurden und uns als Erste in das Gästebuch des Büros eintragen durften.
Hier wurde uns erläutert, was mit unseren monatlichen Spenden finanziert wird. Mal waren es Schulbänke, dann Schulbücher oder Teile für die Krankenstation, die direkt an das Plan-Büro grenzt. Als wir ankamen, wurde gerade eine staatliche Impfaktion für Kinder unter 6 Jahren durchgeführt und schnell waren wir umringt von neugierigen Kindern, die Weiße aus der Nähe betrachten wollten. Eines der ganz vorwitzigen Kinder traute sich bis zu uns, nur um einmal weiße Haut zu berühren.Von dort ging es zu unserer zweiten Station, der Schule von Julietta. Auch hier waren wir schnell von unglaublich vielen Kindern umringt. Für diesen Mittag waren wir wohl die Attraktion der Schule und die Kinder konnten sich nicht „satt sehen“ an uns. Von Juliettas Klasse wurden uns zwei wunderschöne Lieder vorgetragen und ich fand mich in der Rolle des tief bewegten Danksagers wieder. Ob meine Englischkenntnisse wohl ausreichen würden, um auszudrücken, was mich bewegte? Ungewöhnlich war die Rolle für mich auf jeden Fall. So im Mittelpunkt zu stehen und von vielen Augenpaaren erwartungsvoll angesehen zu werden.

Anschließend ging es zur Familie von Julietta. Auch hier wurden wir von vielen Menschen erwartet. Onkels, Tanten und Nachbarn hatten sich eingefunden, um uns zu empfangen. Für die Familie war dies ein besonderer Tag, das spürten wir schnell. Zu unseren Ehren war ein umfangreiches Essen bereitet worden. Dabei hatte Dixon uns erzählt, dass im Augenblick Hungersnot herrscht.

Meine Sorge, keine Gesprächsebene zu finden, stellte sich schnell als unbegründet heraus. Ich hatte Fotos von der ganzen Familie (meiner und der meines Mannes) mitgebracht. Anhand der Bilder habe ich versucht, ein wenig von unserer Familie und dem Leben in Deutschland zu vermitteln. Ein Bildband über Deutschland, den wir als Gastgeschenk mitgebracht hatten, tat sein Übriges dazu. Besonders aber hatte Juliettas Vater und ihrem Bruder Erik die Postkarte des Westfalenstadions, einer der Austragungsorte der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, gefallen. Waren sie doch extra 45 Minuten zu Fuß zum nächsten Gasthaus gelaufen, um dort für 20 Schilling Eintritt das Endspiel zu sehen. Anschließend holte Juliettas Vater seine Fotoalben, und das Eis war endgültig gebrochen.

Nach einem Rundgang über das Grundstück der Familie und einer Besichtigung des Ochsen wurde gemeinsam zu Mittag gegessen und anschließend die Geschenke ausgetauscht. Die traditionelle Tasche, die ich erhielt, war gefüllt mit Lebensmitteln, die die Familie selber anbaut. Die große Papaya und die leckeren Bananen haben wir noch in Kenia gegessen, während der Kürbis den weiten Weg bis nach Deutschland gemacht hat und erst hier verkocht wurde. Als Juliettas Mutter mir die Tasche auf traditionelle Weise um den Kopf hängte, hatte ich schnell die Lacher auf meiner Seite. Ich sah doch sehr unbeholfen aus und die Frauen amüsierten sich. Heute benutze ich die Tasche für meinen Einkauf und sie erinnert mich immer wieder an die netten Stunden bei Juliettas Familie.

Julietta, die fast genauso alt ist wie mein Sohn, schien mit dem Rummel um ihre Person auf eine andere Art als er Schwierigkeiten zu haben. Sicherlich lag dies auch an der Sprache, denn Englisch ist auch für sie die erste Fremdsprache, die sie lernt. Zuhause wird Kisuaheli gesprochen. Schüchtern saß sie neben mir und traute sich kaum, auf meine Fragen zu antworten. Nur gut, dass ihre Mutter eine bei Plan mitarbeitende Ehrenamtliche (Volunteer), so gut Englisch spricht. Für Julietta hatte ich als Gastgeschenk etwas zum Anziehen und ein wenig Kinderschmuck mitgebracht. Beim Auspacken waren wir dann von den anwesenden Frauen umringt und der Kinderschmuck wurde unter den Geschwistern und der Mutter aufgeteilt. Und so wurden die bunten Holzarmbänder zum Erkennungszeichen der weiblichen Mitglieder der Familie.

Zum Abschied wurden verschiedene Reden gehalten, wobei Juliettas Großmutter als Ältester eine besondere Bedeutung zukam, ein Abschiedsbild von beiden Familien gemacht und Dixon fuhr uns wieder zurück nach Nairobi.

Der Besuch von Julietta und ihrer Familie hat uns alle sehr beeindruckt. Hat er uns doch ein Stück von Afrika gezeigt, das wir als Touristen, die wir uns in Autos von Lodge zu Lodge bewegen, sonst nie zu sehen bekommen.

Wir wurden mit Freundlichkeit und Herzlichkeit empfangen und bewirtet und – wie auch auf der gesamten Reise – wurde uns bewusst, wie gut es uns in Europa geht: wir haben genügend Wasser, ein funktionierendes Gesundheitswesen, ein kostenloses Bildungssystem, in dem sich Klassengröße nicht nach der Anzahl der vorhandenen Tische und Bänke richtet, Straßen, die nicht von teilweise 30 cm tiefen Schlaglöchern übersäht sind und, und, und … Es tut gut, hin und wieder auch andere Seiten des Leben kennen zu lernen.“